Ein Gastbeitrag von Daniel Peitz, der einen Sommer auf der Alp des Muhof in der La Manche, oberhalb von Gstaad, zugebracht hat.
Das Feuer prasselt unter dem schweren Kessel aus Kupfer, laut zerknallen die Harzgallen des Holzes. Der Kessel fasst 340 Liter. Im Nebenraum ist das Nachspülen der Melkmaschine zu hören, von draussen dringen erste Sonnenstrahlen durch die kleinen Holzfenster. Geschäftig laufen Katja Auracher und Ilona Bickmann in Gummistiefeln und langen weissen Schürzen durch die Küche der Alphütte. Von Zeit zu Zeit ist das Klingeln der Kuhglocken zu hören, wenn sich Fabula, Rose oder Pauline hinten im Stall bewegen. Es ist sieben Uhr, die Kühe sind gemolken. Auracher prüft noch schnell den Säuregrad der Kultur in einem Reagenzglas. Er soll 27 °SH (Soxhlet-Henkel) haben. Je nach Kultur entsteht die gewünschte Käseart, in diesem Fall: Berner Alpkäse.
Seit Mitte Mai ist Ilona Bickmann „auf der Alp“ im französischen Teil der Schweiz. Nur durch die Arbeitsbestätigung durfte sie während der Corona-Pandemie die Schweizer Grenze überqueren. 785 Kilometer sind es von Delbrück in Nordrhein-Westfalen bis nach Rougemont. Bickmann hat eine staatliche Ausbildung zur Landwirtin auf Schloss Hamborn bei Paderborn, dem Neuer Hof in Düren und Schlossgut Alt Madlitz in Brandenburg gemacht und ist nun schon zum zweiten Mal auf einer Alp. Katja Auracher ist eigentlich Goldschmiedin und kommt aus Augsburg. Diese Alp ist ihre sechste. „Käse hat mich schon immer interessiert, ich habe mir schon als Kind zum Geburtstag Käse gewünscht.“, sagt sie. Zusammen versorgen die beiden 23 Milchkühe für den Besitzer der Alphütte „La Neryvue“.
Jeden Tag werden rund 280 Liter Milch zu zwei grossen Käselaiben verarbeitet. Bevor die Milch in den Kessel wandert, wird ein Teil in flache grosse Schüsseln, die „Gebsen“ genannt werden, geschüttet und über Nacht stehen gelassen. Die obere Haut, der Rahm, wird am nächsten Morgen abgeschöpft. Aus dem Rahm wird jeden dritten Tag Butter hergestellt.
Die Milch im Kessel wird auf 32 bis 33 Grad erhitzt, dann wird der Kessel zum „Einlaben“ vom Feuer genommen. Mit einer „Harfe“ wird der Käse in kleine Stücke geschnitten. Der Kessel kommt wieder auf das Feuer, zum „Brennen“, er muss 52 Grad erreichen. Der „Quietschtest“ liefert die Festigkeitsprüfung, ob der Käse die richtige Konsistenz hat. Je grösser der Bruch, desto weicher und feuchter wird der Käse. „Für Raclettetkäse sollten die Stücke Maiskorn-gross sein, für den Berner Alpkäse etwa so gross wie Reiskörner.“ erklärt Auracher. Es folgt das „Ausrühren“. Mit einem Tuch wird der Käse aus dem Kessel „ausgezogen“. Temperatur, Sauberkeit und das Einhalten von bestimmten Zeiten sind sehr wichtig beim Käsen. „Käse ist eine Diva.“, sagt Auracher schmunzelnd und trägt die Produktionszeiten in eine Liste ein.
Aufgereiht an einem Balken in der Küche hängen dreizehn schwere Kuhglocken. Auf der grössten sind die Initialen der männlichen Familienmitglieder der Besitzerfamilie zu lesen: Martin, Ueli, Daniel und Simon Raaflaub. Die Familie hat insgesamt vier Kinder und wohnt im 15 Kilometer entfernten Gstaad, das schon zum deutschsprachigen Teil der Schweiz gehört. Auf dem Biohof können Kunden direkt vom Erzeuger kaufen. Für Wanderer steht ein kleiner Selbstbedienungshofladen am Wanderweg Schönried-Gstaad, der direkt am Hof vorbeiführt. Online ist die Familie mit einer eigenen Webseite vertreten. Auch zwei Schweizer Zivildienstleistende arbeiten auf dem Hof.
Ein grosser Schwall Molke läuft dampfend aus dem Käsetuch, das die beiden Käserinnen aus dem Kessel zum Tisch wuchten. Der ausgezogene Käse wird in zwei grosse runde Holzringe gepresst, die Ähnlichkeit mit einer Kuchen-Springform haben. Die Käser nennen die Formen „Järbe“. Beide Järbe werden aufeinander gestapelt. Mit einem Zugseil, das aus der Decke baumelt, wird auf dem Dachboden der Hütte eine Wippe in Bewegung gesetzt, die einen Stab mit dicken Steinen beschwert. Der Stab drückt von oben auf die Järbe und presst den Käse zusammen. Nun muss der Käse in dieser gepressten Form ruhen bis zum nächsten Morgen. Zwischendurch wird er immer wieder gewendet. Dann folgt die Reinigung. Die Gerätschaften werden gespült, die Arbeitsflächen geschrubbt und der Kessel gescheuert.
Gemeinsam frühstücken Auracher und Bickmannn vor der Hütte. Über ihnen an der Fronseite ist das Jahr zu lesen, in dem die Hütte gebaut wurde: 1797. Der Blick wandert zum „Le Rubli“, mit 2.284 Metern der höchste Berg der Videmanette-Kette. Der Nordhang von Videmanette und Rubli gehören zu einem beliebten Skigebiet in der Schweiz. Rougemont unten im Tal liegt auf 1007 Metern. Die nächste Hütte in Sichtweite wurde von einem Paar aus England gekauft und zu einem Ferienhaus umgebaut. Die Ferienhäuser nennt man hier „Chalet“. Das Gebäude ist von 1793. Vom Kauf bis zur Fertigstellung brauchten sie fünf Jahre, die Auflagen der Denkmalschutzbehörde in der Schweiz sind sehr hoch.
Bickmann steht telefonierend vor der Hütte – eine Kuh ist „stierig“. Der Besamer muss kommen. „Normalerweise werden die Kühe besamt auf die Alp geschickt.“, erklärt sie, „doch bei Kentura hat es wohl nicht geklappt.“ Jedes Jahr im Mai werden die Kühe der Familie auf die Alp gebracht. Sie bleiben bis Mitte September. In diesem Jahr kommen die insgesamt 23 Kühe von fünf verschiedenen Bauern. Die Herde besteht aus Simmenthaler, Kiwi-Cross und Schweizer Braunvieh. Eine Kuh scheuert sich an einem Telefonmast vor der Hütte. Früher hatten alle Hütten hier oben Festnetz, jetzt nur noch eine. „Am Anfang musste ich erst mal meine Angst vor den Kühen überwinden, alles wegen dem Käse!“, sagt Auracher und lacht.
Viele Deutsche arbeiten zeitweise auf einer Alp in der Schweiz. Das Zentrum der deutschen „Älplerszene“ ist das hessische Witzenhausen. Dort kann man „Ökologische Landwirtschaft“ studieren. 1981 wurde dort die erste Professur für Ökologischen Landbau eingerichtet. Der „Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften“ ist der Universität Kassel zugeordnet. Jedes Jahr treffen sich in Witzenhausen bereits erfahrene Älplerinnen und Älpler und solche, die es werden wollen. Neben einem Fachvortrag und Erfahrungsaustauschen gibt es im Januar 2021 auch eine Stellenbörse.
Unter Aurachers Schlafzimmer befindet sich der Käsekeller. 112 Käse ruhen und reifen dort auf Holzbrettern. Vor dem Mittagessen werden sie von Ilona und Katja gewendet und mit Wasser oder Salzlauge geschmiert. Bevor es abends wieder zum Melken in den Stall geht, gibt es genug zu tun: Die Weiden werden nach einiger Zeit gewechselt und die Zäune müssen umgesteckt werden. Grosse Disteln werden ausgestochen und Feuerholz wird für den nächsten Käsegang bereitgelegt. „Wenn man heiraten oder eine Firma gründen will, dann sollte man einmal zusammen Käse auf einer Alp gemacht haben.“ sagt Bickmann, „entweder es funktioniert danach super, oder gar nicht mehr.“
Rund um die Hütte auf den Wiesen wird das Gras an den steilen Hängen gemäht. „Auf der Alp kann man sich neu finden.“, sagt Katja Auracher. „Erwartet wird hier von einem nur, dass du Käse machst.“